Culture scolaire

Achtsamkeit in der Schule

Claudine Dahm 25 Mar 2021

Was bedeutet Achtsamkeit?

Achtsamkeit bedeutet, die Aufmerksamkeit bewusst steuern zu können und eine „achtsame Haltung“ in Form von Vorurteilslosigkeit, Akzeptanz, Geduld und Mitgefühl an den Tag zu legen. Auch wenn Achtsamkeit und Meditation aus einem buddhistischen kulturellen Hintergrund stammen, haben diese Praktiken mittlerweile in die westliche Kultur hineingefunden. Spätestens seit der Entwicklung des Mindfulness-Based Stress Reduction Programms durch Kabat-Zinn (1990) sowie dem Beginn der wissenschaftlichen Überprüfung von Achtsamkeit in den 1990er Jahren, findet man diese Achtsamkeitspraktiken ebenso in den westlichen Industrienationen. Unter Achtsamkeitsübungen versteht man verschiedene Formen von Meditation, Körperwahrnehmungs-Übungen, sinnliche Präsenz sowie eine bewusste Lebensführung im Alltag. Mittlerweile gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien sowie viele Trainings- und Therapieprogramme, die sich mit dem Konzept der Achtsamkeit beschäftigen. Achtsamkeit versteht sich heute als kultureller Trend und wird bei unterschiedlichen Herausforderungen wie beispielsweise Stress im privaten und beruflichen Alltag, psychischen Erkrankungen, ständige Erreichbarkeit und Ablenkung durch digitale Medien angewendet. (Valtl, 2019)

Welche Vorteile bringt eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis?

Die positive Wirkung von Achtsamkeit auf Erwachsene konnte mittlerweile wissenschaftlich gut belegt werden. Es zeigt sich ein positiver Effekt auf die Gesundheit und das subjektive Wohlbefinden, die geistige Leistungsfähigkeit sowie das sozial-emotionale Wohlbefinden. 4

Ähnliche Effekte konnten ebenfalls in der Lehrer*innenbildung vorgefunden werden. Hier führt Achtsamkeit zu einer Verbesserung im Bereich der Kollegialität und hat einen positiven Einfluss auf die professionelle Identität, die pädagogische Reflexionsfähigkeit und die Berufszufriedenheit. 4

Auch Kinder können von Achtsamkeitspraktiken profitieren. Eine Studie von Weare (2018) konnte vielfältige positive Effekte von Achtsamkeit auf die psychische und physische Gesundheit, das Wohlbefinden, die mentalen Leistungsfähigkeiten sowie die Selbst- und Sozialkompetenz bei Kindern finden. Es konnte eine Verbesserung der psychischen Gesundheit bei klinischen Zielgruppen (Depression, Angststörungen, Stress) festgestellt werden. Bei nicht-klinischen Zielgruppen kann die Neigung zur Depression verringert werden sowie die Angst, welche durch schulische und außerschulische Lebensbedingungen wie Leistungsdruck, social media oder Bullying hervorgerufen wird, reduziert werden. Auch soziale, emotionale und Verhaltenskompetenzen werden positiv beeinflusst. Eine Förderung des sozial-emotionalen Lernens wirkt sich positiv auf die Schulleistungen aus. Außerdem werden durch Achtsamkeit die emotionale Selbstregulation, Fähigkeit zur Empathie und Mitgefühl sowie die Beziehungskompetenz gefördert. Es wurde weniger Problemverhalten (Aggressivität, Hyperaktivität und Trotz) sowie eine Senkung der Schulabbruch-Rate beobachtet (Weare, 2018).

Achtsamkeit in der Schule

Eine zunehmende Komplexität des Alltags, ein beschleunigtes Arbeitstempo sowie vermehrter Druck auf Schulleitungen und Lehrkräfte führen dazu, dass der Stresslevel bei allen Beteiligten am System Schule steigt. Stress bei Lehrkräften kann sich negativ auf die Lernprozesse, auf Lerngruppen sowie auf die Lernenden selbst auswirken. Oft können Pausen im Schulalltag nur zu einem Raumwechsel oder notwendigen Absprachen und nicht zur Entspannung genutzt werden. Ein erhöhter Stresslevel bei den Lehrkräften kann dazu führen, dass sich die Kinder nicht ausreichend wahrgenommen fühlen, sie unsicher werden und so ihre Entwicklung direkt beeinflusst wird. Ein durch Stress hervorgerufener Empathieverlust bei den Lehrkräften kann dazu führen, dass Veränderungsprozesse der Schüler*innen nicht oder zu spät bemerkt werden (Trabandt, 2020). Wenn Kinder und Jugendliche sich durch Außenreize und Ablenkungen schlechter konzentrieren können oder unausgeglichen sind, stellt dies große Herausforderungen für die Eltern und pädagogischen Mitarbeiter*innen dar. Ein stressiger Alltag geprägt von Leistungsdruck und Bewertung sowie einem durchgetakteten Schul- und Freizeitprogramm kann zu Unausgeglichenheit führen. 2

Wichtig ist, dass die Lehrkräfte die Möglichkeit haben, Stressoren zu identifizieren und darüber Rückmeldung zu geben. Stressoren sind Faktoren, die zu mangelnder Achtsamkeit, zu Ablenkung und Oberflächlichkeit führen und somit eine Ausführung der Arbeit stören oder erschweren. Es handelt sich dabei um belastende äußere Bedingungen und Anforderungen, wie zum Beispiel gesellschaftliche Veränderungen oder Arbeitsabläufe. Darauffolgende Stressreaktionen können psychisch und körperlich ausfallen. Motivation, persönliche Motive, Haltungen und Einstellungen wirken dabei als Stressverstärker. (Trabandt, 2020)

Achtsamkeit hat sich zu einem wichtigen Forschungsbereich in den unterschiedlichen Disziplinen entwickelt und ist Bestandteil der Bildungswissenschaft sowie Querschnittthema der pädagogischen Innovation. In der neu entstehenden „Pädagogik der Achtsamkeit“ werden Themen wie emotionale Selbstregulation, Aufmerksamkeitsregulation, sozial-emotionales Lernen sowie Gesundheitsfürsorge und Stressreduktion behandelt, welche sowohl die Entwicklung von Schüler*innen wie von Lehrer*innen betreffen.1

Wenn sich Pädagog*innen in Achtsamkeit weiterbilden, können sie dadurch den Berufsalltag gelassener und klarer bewältigen, sich ihrem persönlichen Stressmuster bewusstwerden sowie einen gesunden Umgang mit den alltäglichen Herausforderungen entwickeln. 2 Durch die Integration von Achtsamkeit in den Schulen kann die psychische und physische Gesundheit von Schüler*innen und Lehrer*innen gefördert werden, es kann ein selbstgesteuerter Umgang mit digitalen Medien erworben werden sowie personale, soziale und politische Kompetenzen der Schule gefördert werden.1 Wenn Pädagog*innen unter Belastungen und psychischer Beanspruchung im Alltag leiden, kann Achtsamkeit ihnen dabei helfen, persönliche Ressourcen zu stärken. Durch eine positive Beziehung mit sich selbst sind sie in der Lage, eine offene und mitfühlende Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen einzugehen und können so eine achtsame Haltung in ihrem Leben an die Kinder und Jugendliche weitervermitteln. Studienergebnisse zeigen, dass Achtsamkeitstraining bei Kindern und Jugendlichen einen Einfluss auf die Aufmerksamkeitsregulation, die Konzentration und die Emotionsregulation haben kann, sowie das Selbstbewusstsein gestärkt wird. 2

Achtsamkeit leistet einen Beitrag zur Gesundheitsprävention und -förderung von Pädagog*innen und unterstützt die Zusammenarbeit im gesamten Kollegium. Langfristig angelegte und individuell gestaltete Strategien können zu gesundheitsfördernden Effekten in pädagogischen Einrichtungen führen.2

Bereits im Kindergarten kann Achtsamkeit zur Entwicklungsförderung beitragen und eine bewusste Gestaltung von pädagogischen Beziehungen und vom Alltagsleben fördern. In der Familie fördert Achtsamkeit die Entwicklung aller Beteiligten und führt zu einem besseren Verständnis sowie authentischen Beziehungen und realistischen Entscheidungen. In Hochschulen kann Achtsamkeit nicht nur die psychische Gesundheit von Studierenden unterstützen und die Persönlichkeit und den Lernerfolg fördern, sondern auch als Bestandteil der Lehrer*innenbildung eingesetzt werden. (Valtl, 2019)

Achtsamkeit kann in der Schule auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden und Vorteile bringen. Auf individueller Ebene kann Achtsamkeit bei Lehrkräften helfen, in alltäglichen Aktivitäten gegenwärtig und achtsam zu sein und somit eine offene und unvoreingenommene Haltung gegenüber neuen Erfahrungen einzunehmen und Situationen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Durch das Erkennen von eigenen Emotionen können die Lehrpersonen angemessen reagieren und ihr Handlungsspektrum erweitern. Auf kollektiver Ebene führt mehr Achtsamkeit zu einer Weiterentwicklung etablierter Interaktionsmuster, die eine achtsame Haltung fördern. So können die Involvierten sich respektvoll aufeinander einlassen und Bedenken, Ängste und Wünsche anderer wahrnehmen. Dabei entsteht eine freie Kommunikation. Auf struktureller Ebene können Strukturen geschaffen werden, die achtsames Handeln ermöglichen. Die Schule als Organisation sollte neben den Lehrkräften ebenfalls Verantwortung übernehmen. Eine Fehlerkultur, in der eine Beschäftigung mit Fehlern möglich ist sowie ein kontinuierliches Hinterfragen von bestehenden Annahmen und Abläufen sollte ermöglicht werden. Fehler und Rückschläge können als Lernchance gesehen werden. Eine kooperative Führungskultur ermöglicht einen offenen Austausch über Handlungsmöglichkeiten und fördert den Respekt vor dem fachlichen Können der Lehrkräfte. 3

Achtsamkeit in der Schule – Beispiele

Seit 2008 werden unterschiedliche Achtsamkeitsprogramme in den Schulen Europas angewendet. Dazu gehören beispielsweise das manualisierte britische Programm „dot b“ mit einem festgelegten Ablauf und festen Themen5, oder eine Methodensammlung zur flexiblen situativen Verwendung „Praxisbuch achtsame Schule“ (Rechtschaffen, 2018). Außerdem werden Fortbildungsprogramme für Lehrkräfte angeboten, wie beispielsweise das Programm „Gesundheit, Integration, Kommunikation“7, welches einen positiven Einfluss auf die Gesundheit, die pädagogische Haltung sowie das professionelle Selbstverständnis hat. (Valtl, 2019)

Ein konkretes Beispiel für die Integration von Achtsamkeit in der Schule stellt das NRW-Landesmodellprojekt in den Solinger Grundschulen dar. (Altner, Erlinghagen, Körber, Cramer & Dobos, 2018)

In diesem Projekt wurden Achtsamkeitselemente gezielt und regelmäßig in den Unterricht integriert. Dazu gehörten Stillephasen, achtsame Bewegungen, Morgenruhen oder Gefühlskreise. Die Schulstunden und Pausen wurden flexibel gestaltet und so konnten die unterschiedlichen Rhythmusbedürfnisse der Schüler*innen besser berücksichtigt werden. Die Lehrpersonen tauschten sich regelmäßig untereinander über mögliche Achtsamkeitsübungen und Methoden der Achtsamkeit aus.

Veränderungen durch die Achtsamkeitsinterventionen haben auf unterschiedlichen Ebenen stattgefunden: Selbstregulation, kollegiale Beziehung, Beziehung zu den Kindern, Beziehung zu den Eltern, Schulgestaltung und kooperative Kultur mit dem Schulamt. Die teilnehmenden Lehrpersonen berichteten davon, dass sie Spannungen besser regulieren und reduzieren konnten und dass sie weniger unter Beschwerden (beispielsweise Migräne) litten. Ihre negativen Gedanken und Gefühle konnten sie wahrnehmen und sich von ihnen distanzieren. In den Kollegien haben sie mehr über die Gestaltung der Kommunikation gesprochen. Die (selbst-)fürsorgliche Alltagskultur im Schulkollegium wurde gestärkt. Durch mehr Kommunikation schenkten die Pädagog*innen den Kindern mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung und verhielten sich ihnen gegenüber zugewandter und weniger fordernd. Die Kommunikation zwischen der Administration und den Schulleitungen gestaltete sich humorvoll und informell.

Einzelne Schulkollegien haben sich außerdem für zusätzlichen Maßnahmen entschieden. Dazu gehören beispielsweise eine „Insel der Stille“ im Lehrerzimmer, ein Ruheraum oder Garten der Stille, der Beginn von Konferenzen mit drei Minuten Stille oder der freiwillige Verzicht auf Formulierungen, welche Zeitdruck erzeugen (z.B. „kannst du eben mal schnell…“), um so eine Sprachkultur der Entschleunigung einzuführen. (Altner et al., 2018)

Fazit

Auch wenn es noch einige Faktoren gibt, die zu erforschen bleiben (Valtl, 2019), birgt die Anwendung von Achtsamkeit in der Schule ein großes Potenzial, nicht nur Schüler*innen, sondern auch Lehrkräfte in ihrem schulischen Alltag zu unterstützen, um so ein positives Lern- und Entwicklungsumfeld zu schaffen.

Quellen

https://achtsamkeit.univie.ac.at/home/achtsamkeit-und-mitgefuehl/

https://www.akiju.de/achtsamkeit-kinder-jugendliche.html

Trabandt, S. (2020). Achtsamkeit in der Schule. Bedeutung, Umsetzung und Herausforderungen.

Karlheinz Valtl (2019). Die Effekte achtsamkeitsbasierter Interventionen im Bildungswesen.

mindfulnessinschools.org

Rechtschaffen, Daniel (2018): Die achtsame Schule -Praxisbuch: Leicht anwendbare Anleitungen für die Vermitt-lung von Achtsamkeit, Freiburg: Arbor (amer. :The mindful education workbook. Lessons for teaching mind-fulness to students, New York/London: W. W. Norton 2016

achtsamkeit.com/gik

Weare, K. (2018). The evidence for mindfulness in schools for children and young people. Manuskript, University of Southampton. Online via: https://mindfulnessinschools. org/wpcontent/uploads/2018/04/Weare-Evidence-Review-Final. pdf.

https://www.oxfordmindfulness.org/

Altner, N., Erlinghagen, M., Körber, D., Cramer, H., & Dobos, G. (2018). Achtsamkeit in den Grundschulen einer ganzen Stadt fördern–ein NRW-Landesmodellprojekt. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 49(2), 157-166.

Kabat-Zinn, J. (2003). Mindfulness-based stress reduction (MBSR). Constructivism in the Human Sciences, 8(2), 73.


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Bild 2 : Raum der Stille – EP Fieldgen