Gestion de l'établissement

Bildung im Einfluss der Digitalisierung

Claude Reuter 19 Oct 2021

Wenngleich viele Reformen in den vorangegangenen Jahrzehnten stattgefunden haben, so ist die „basic grammar of schools“ (vgl. Tyack & Tobin, 1994), d.h. die Gestalt der Klassenräume, über Jahrzehnte unverändert geblieben. Neuere Lehrmethoden, wie der von Seymour Papert (1986) begründete Konstruktionismus, propagieren bereits seit den 1980er Jahren variable Lernräume, die unabhängiges, selbstbestimmtes Lernen – angepasst an den persönlichen Entwicklungsstand – ermöglichen. Diese Methoden stehen dem traditionellen batch processing (vgl. Tyack & Tobin, 1994, S. 455), das heißt dem Lehrer- und Lehrbuchzentrierten Unterricht gegenüber und fallen allzu oft bereits nach kurzer Zeit wieder aus dem Fokus der Aufmerksamkeit. Die Verbreitung des Internets, das Aufkommen von aufwendig produzierten kommerziellen Multimedia-CD-Roms und die vereinfachten Benutzeroberflächen bewirken, dass an Schulen überwiegend Aktivitäten – genauer: Aktivitäten zur Mediennutzung – durchgeführt werden, die vorwiegend auf die genannten Techniken zurückgreifen: Internetrecherche, Navigation in Multimedia-Applikationen und Erstellen von Textdokumenten oder Präsentationen (vgl. Kafai & Peppler, 2011).

Die Aufgabe der Schule, Jugendliche auf die Zukunft vorzubereiten, steht vor neuen Herausforderungen (vgl. Bos et al., 2014). Bildung muss zu einem effektiven Werkzeug im Rahmen der modernen Gesellschaft transformiert werden (vgl. Bürgi, 2017). Forschung ist mehr denn je ein Werkzeug, um die Gegenwart zu verstehen und eine Antwort auf Probleme der Zukunft zu geben.

Die Digitalisierung, oft als vierte industrielle Revolution bezeichnet, unterstreicht gemäß Baecker (2007) das soziologisch geprägte Verständnis, wie die Entwicklung der Kommunikationsmittel die Gesellschaftsstrukturen beeinflusst. Computer verändern Letztere so stark wie zuvor nur die Entwicklung der sprachlichen Kommunikation, die Entwicklung der Schrift und die Erfindung des Buchdrucks (vgl. Honegger, 2017). Wissenschaftler wie Douglas Hofstadter im Jahr 1985 und Nobelpreisträger David Baltimore im Jahr 2001 zeigen auf, dass fast alle Wissenschaften, so wie die Informatik, Informationswissenschaften sind. Die neuen Denkmethoden des Computing finden in den meisten wissenschaftlichen Gebieten Anwendung (vgl. Denning, 2003). In der Schule kommt der Leitmedienwechsel vom Buch zum Computer, verglichen mit den traditionellen Strukturen der Schule, einer Revolution gleich.

Bereits am 13. Juni 2002 forderte die Luxemburger Abgeordnetenkammer die Regierung auf

„de réfléchir à la création de formations spécifiques dans le domaine des médias ainsi que dans le domaine des technologies de l’information et de la communication en consultant les instituts d’enseignement supérieur du Luxembourg; […] à prendre des mesures de sensibilisation en ce qui concerne la violence dans les médias audiovisuels s’adressant aux enfants, aux parents, aux acteurs dans le domaine des médias et aux enseignants“ (MENFP, 2010, S. 5).

Das damals zuständige Ministerium gab im selben Jahr über das SCRIPT einen Aktionsplan zur Förderung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien in Sekundarschulen heraus. Mit dem Aktionsplan wurden drei Projekte zur Förderung der Medienkompetenzen in den Schulen auf den Weg gebracht.

Im August 2008 gab das Bildungsministerium bei Professor Gerhard Tulodziecki einen Referenzrahmen in Auftrag, der darauf zielte, „ein Konzept zu entwickeln, welches eine umfassende und systematische Medienerziehung bzw. Medienbildung an den luxemburgischen Schulen ermöglicht“ (MENFP, 2010, S.5). Es blieb jedoch bei einem provisorischen Arbeitsdokument, eine konsequente Implementierung des Konzepts blieb aus. Erst in dem im Jahr 2011 veröffentlichten Plan d’études wurde Medienbildung als eine transversale Kompetenz verankert. Doch „die Revolution muss noch warten.“ [1]

Im Jahr 2015 stellte der Bildungsminister Digital(4)Education[2]  vor, eine übergreifende Strategie zur Entwicklung von Fähigkeiten und Know-how für das 21. Jahrhundert. Diese Strategie bündelte die bisherigen Initiativen im Bereich der Medienerziehung. Digital(4)Education ist Teil der größeren Strategie Digital Luxembourg[3] der Regierung, die zum Ziel hat, das Land zu einer Hochburg der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien auszubauen und zahlreiche Investoren nach Luxemburg zu locken.

Parallel beschäftigte sich die Europäische Union seit längerem mit dem Thema Computational Thinking[4], der neuen Literacy des 21. Jahrhunderts. Algorithmen prägen den Alltag in immer stärkerem Ausmaß. Aussagen wie „Europe cannot afford to miss the boat” von Informatics Europe & ACM Europe Working Group aus dem Jahr 2013[5] belegen, dass Europa im Bereich des Computational Thinking großen Nachholbedarf hat. 2016 gab es bereits in vielen europäischen Ländern Bemühungen, dieses informatische Denken in die Lehrpläne einzuführen.

In Luxemburg wird das Fach Informatik bereits seit mehreren Jahren an den Sekundarschulen unterrichtet und 2017 wurde die neue section I in Sekundarschulen ab der 4e eingeführt. Doch Computational Thinking fand im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Europas keinen Einzug in die Luxemburger Lehrpläne. 2018 wurden in der zweiten ICILS[6]-Studie, an der Luxemburg zum ersten Mal teilnahm, auch Aufgaben zum Computational Thinking gestellt. Die nationalen Resultate waren so ernüchternd, dass die Politik unverzüglich reagierte: So wurde ab dem Schuljahr 2020/21 das informatische Denken verpflichtend in die Lehrpläne der Zyklen 4 der Grundschulen eingeführt und ab September 2021 wird Computational Thinking in allen vier Zyklen der Grundschulen transversal unterrichtet. Neu eingestellte ICN[7] unterstützen die Lehrpersonen bei der Umsetzung dieser neuen Denkweise. In den Sekundarschulen wird ab dem Schuljahr 2022/23 das neue Fach „Digital Sciences“ in die Lehrpläne aufgenommen.

2020 veröffentlichte das SCRIPT den auf das Luxemburger Bildungswesen zugeschnittenen Medienkompass, der die Grundlage für eine erfolgreiche Medienbildung in den Luxemburger Schulen bildet. Er basiert auf dem Europäischen Referenzrahmen für digitale Kompetenzen (European Digital Competence Framework for Citizens – DigComp[8]), der im Auftrag der EU-Kommission und mit Unterstützung der Mitgliedstaaten entwickelt und in einer ersten Version bereits 2013 veröffentlicht wurde. Der Luxemburger Medienkompass[9] steht somit in Übereinstimmung mit den internationalen Diskursen, wie sie zum Beispiel bei der UNESCO (2006), im Europarat und dem Europäischen Parlament (2006) geführt wurden.

„Die luxemburgische Regierung ist sich des Potenzials einer geeigneten Technologie, Infrastruktur und Gesetzgebung auf dem neuesten Stand bewusst und hat daher die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ins Zentrum seiner [sic] Interessen gestellt. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, treibt das Großherzogtum die Entwicklung dieser digitalen Infrastrukturen weiter voran.“[10]

Strategien aus dem analogen Zeitalter, die vorsehen, kleinschrittig auf Transformationsprozesse zu reagieren, führen in der digitalen Welt kaum zu tatsächlichen Veränderungen. Dafür sind die Transformationsprozesse zu tiefgreifend (Bos et al., 2019). Die digitale Welt erfordert schnelle Umsetzungen. Doch Transformationsprozesse im Bildungswesen sind meistens langwierig und werden mit viel Skepsis aufgenommen. Das führt dazu, dass die öffentliche Bildung ein System zwischen Kritik des Gegebenen und der Utopisierung der Zukunft bleibt (Tenorth, 2019), ein System, an dem sich die beteiligten Akteure stets ausrichten müssen.


[1] https://www.woxx.lu/medien-und-schule-die-revolution-muss-noch-warten/ (abgerufen am 05.10.2021)
[2] https://portal.education.lu/digital4education/ (abgerufen am 05.10.2021)
[3] https://digital-luxembourg.public.lu/ (abgerufen am 05.10.2021)
[4] Zu Computational Thinking gibt es eine Vielzahl an Beschreibungen und Erklärungen. Der Begriff wird oft mit Jeannette Wing in Verbindung gebracht, die schrieb: „Computational thinking is taking an approach to solving problems, designing systems and understanding human behaviour that draws on concepts fundamental to computing.” (Wing, 2006, S. 33). Mit Problem bezeichnet Wing nicht nur mathematische Probleme, sondern auch reale Probleme aus anderen Lebensbereichen.
[5] http://www.informatics-europe.org/images/documents/informatics-education-acm-ie.pdf (abgerufen am 05.10.2021)
[6] https://www.iea.nl/news-events/news/icils-2018-results (abgerufen am 05.10.2021)
[7] ICN: instituteur aux compétences numériques
[8] https://ec.europa.eu/jrc/en/digcomp (abgerufen am 05.10.2021)
[9] https://www.edumedia.lu/wp-content/uploads/2020/03/Medienkompass_2020_DE.pdf (abgerufen am 05.10.2021)
[10] https://luxembourg.public.lu/de/investieren/schluesselsektoren/ict.html (abgerufen am 05.10.2021)

Bibliographie

Baecker, D. (2007). Studien zur nächsten Gesellschaft (Originalausgabe). Edition Suhrkamp Verlag.

Bos, W., Eickelmann, B., Gerick, J., Goldhammer, F., Schaumburg, H., Schwippert, K., Senkbeil, M., Schulz-Zander, R. & Wendt, H. (2014). ICILS 2013 – Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich.

Bürgi, R. (2017). Die OECD und die Bildungsplanung der freien Welt: Denkstile und Netzwerke einer internationalen Bildungsexpertise (Bd. 7). Verlag Barbara Budrich. https://doi.org/10.3224/84740557

Denning, P. (2003). Great Principles of Computing. Commun. ACM, 46, 15–20. https://doi.org/10.1002/9780470050118.ecse548

Europäisches Parlament und Rat (Amtsblatt der Europäischen Union, Hrsg.). (2006). Empfehlungen des europäischen Parlamentes und des Rates vom 18. Dezember 2006 zu Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen. I. 394. Zugriff am 05.10.2021. Verfügbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006H0962&from=EN

Honegger, B. D. (2017). Mehr als 0 und 1: Schule in einer digitalisierten Welt (2. Aufl.). Hep Verlag.

Kafai, Y. B., & Peppler, K. A. (2011). Youth, Technology, and DIY: Developing Participatory Competencies in Creative Media Production. Review of Research in Education, 35(1), 89–119. https://doi.org/10.3102/0091732X10383211

MENFP. (2010). Medienerziehung und Medienbildung in der Schule.

Papert, S. (1986). Constructionism: A new opportunity for elementary science education. Massachusetts Institute of Technology, Media Laboratory, Epistemology and Learning Group.

Tenorth, H.-E. (2019). Schulreform – Gestaltungsmacht und Eigensinn, 20-33. In Berkemeyer, N., Bos, W. & Hermstein, B. (2019). Schulreform: Zugänge, Gegenstände, Trends. Mit E-Book inside. Beltz.

Tyack, D., & Tobin, W. (1994). The „Grammar“ of Schooling: Why Has It Been So Hard to Change? American Educational Research Journal, 31(3), 453–479. https://doi.org/10.2307/1163222

UNESCO Institute for Statistics. (2006). International standard classification of education ISCED 1997. UNESCO-UIS.

Wing, J. (2006). Computational Thinking. Communications of the ACM, 49(3), 33. https://doi.org/10.1145/1118178.1118215