Développement professionnel Gestion de l'établissement

Blended Learning – Flipped Classroom als Hausaufgabenformat

Dr. Isabell Eva Baumann / Dominic Harion (Université du Luxembourg) 18 Mai 2022

Blended Learning, verstanden als integrative Unterrichtsstrategie mit Anteilen von Präsenzunterricht im Klassenraum und Anteilen von außerschulischen virtuellen bzw. online-Lernformaten, wird spätestens seit den Schulschließungen in Folge der COVID-Pandemie hinsichtlich seiner Vor- und Nachteile erneut breiter untersucht und ausführlich diskutiert. Dabei handelte es sich bei der forcierten Laborsituation des Homeschoolings (oder treffender: des Distanzunterrichts) im Rahmen der COVID-Prävention zunächst einmal nicht um blended learning-Ansätze. Denn die längerfristige Transformation des Präsenzunterrichts in einen virtuellen Klassenraum stellt noch kein „gemischtes“ Lernsetting dar – insbesondere dann nicht, wenn keine Möglichkeit zur reflektierten Didaktisierung von digitalen Instrumenten für das selbständige und selbstgesteuerte Lernen von Schülerinnen und Schülern gegeben ist:

Digitale Lernangebote zusätzlich zu vorhandenen Präsenzveranstaltungen anzubieten, ohne die Präsenz grundlegend zu verändern, stellt noch kein hybrides Lernarrangement dar. Auch durch den bloßen Austausch von Lernorten kommt keine wesentliche Innovation zustande. […] Lediglich digitale Elemente mit Präsenztrainings zu kombinieren, stellt noch kein didaktisch begründetes Lernarrangement dar. Das Label „Blended Learning“, ebenso wie „Flipped Classroom“, wird in der Praxis oft vordergründig geführt; es suggeriert ein didaktisches Konzept, ohne zu erläutern, wie Lernaktivitäten und Lernorte didaktisch aufbereitet sind und zusammenwirken. (Kerres 2018, 24, Hervorhebungen IB & DH)

Auch abseits der virtuellen Lehr- und Lernformate, die in den Jahren 2020 und 2021 – meist kurzfristig – zur Krisenintervention eingeführt wurden, stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, inwiefern Programme und Initiativen zur Digitalisierung von Unterricht das Etikett Blended Learning verdienen oder ob es sich oftmals nicht vielmehr um Formen „palliativer Didaktik“ handelt, wie Axel Krommer sie pointiert. Didaktische Maßnahmen also, die mithilfe digitaler Technik überkommene didaktische Prinzipien ummanteln und lediglich auf den Austausch von Unterrichtswerkzeugen zielen (also z.B. die Verwendung eines Whiteboards als Tafel und von Tablets als Bücher- und Heftersatz) ohne das innovative Potenzial, das von digitalen Technologien ausgeht, zu nutzen. (Krommer 2017 & Krommer 2019)

Diese Befunde lesen sich in Hinblick auf den Ressourcenaufwand, der augenscheinlich zur Umsetzung von blended learning in der eigenen Unterrichtspraxis nötig ist, vorderhand wenig einladend. Andererseits wird aber über eine solche Sichtweise auf blended learning und Digitale Schule eine sehr artifizielle Unterscheidung zwischen analogem, realem Unterricht und digitalem, virtuellem Unterricht überhaupt erst erzeugt, die mit der Alltagspraxis und den lebensweltlichen Bezügen, in denen wir uns bewegen, nichts zu tun hat. Sowohl Lehrende wie auch Lernende nutzen ja bereits mitunter virtuos digitale Technologien, um sich zu informieren, zu kommunizieren und zu interagieren und sind in ihren Praktiken eingebettet in digitale Kulturen. Die Dualität, die durch das Verständnis einer „eigentlich“ analogen Schule erzeugt wird, in die dann u.a. über blended learning-Modelle nun digitale Komponenten eingeführt werden, ist künstlich und leistet einer problemorientierten Haltung Vorschub, die den barrierefreien Blick auf die Anwendungsmöglichkeiten digitaler Technologien zuweilen versperrt (Kerres 2018, 39): Lernen ist per se ein hybrides Unterfangen, das durch verschiedene Instrumente und Medien, nicht nur die virtuellen, didaktisiert werden kann. Richtig eingesetzt, verzahnen blended learning Modelle nun analoges und online Lernen zu einer Einheit, in die die Vorteile beider Lernformate eingebracht werden.

 

Wissenschaftliche Studien

Mit Blick auf die Effektivität von blended learning haben mehrere Studien in unterschiedlichen Lehr-Lern-Settings und Gruppenzusammensetzungen die Vorteile von blended-Formaten gegenüber reinen online- und reinen Präsenzformaten bestätigen können. Neben der umfänglichen Metaanalyse von Means u.a. (2013), in der die Ergebnisse von 45 themenspezifischen Studien ausgewertet wurden, ist hier insbesondere die Arbeit von Wagner et al. (2020) zu nennen. In ihrer Metastudie „Effectiveness of the Flipped Classroom on Student Achievement in Secondary Education” werden erstmals alle vorliegenden Ergebnisse für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe analysiert und untersucht, ob und wie sich die Unterrichtsmethode Flipped Classroom auf den Lernerfolg auswirkt. Die Befunde beziehen sich auf die Fächer Mathematik/Informatik, Naturwissenschaft/Technik sowie Sprach- und Geisteswissenschaften. Dabei berücksichtigen die Autor*innen ausschließlich solche Formate, in denen sich die Lernenden den Lerninhalt zunächst zuhause mithilfe von Videos aneigneten und dieser im anschließenden Unterricht vertieft wurde. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Lernende von der Unterrichtsmethode Flipped Classroom profitieren und signifikant bessere Lernergebnisse erreichen als Schülerinnen und Schüler in regulären Unterrichtsarrangements. Die Autoren konnten außerdem zeigen, dass bessere Lernergebnisse erzielt werden, wenn Flipped Classroom regelmäßig und nicht nur sporadisch eingesetzt wird.

Zudem weist die rezente Untersuchung von Ma & Lee (2021) eine signifikant höhere Zufriedenheit wie auch ein höheres Selbstwirksamkeitserleben von Lernenden in blended-Formaten nach.

Vor dem Hintergrund dieser Daten scheint es also lohnend, blended learning in den eigenen Unterricht zu integrieren. Ein niedrigschwelliger Zugang zur Integration von blended-Formaten in die eigene Unterrichtspraxis ist dabei über die Flipped Classroom-Methode möglich, die sich besonders auch für differenzierenden Unterricht in heterogene Klassen eignet. Bei dieser Methode werden Teile des Lernstoffs von Schülerinnen und Schülern zu Hause über virtuelle bzw. Online-Angebote erarbeitet, die den Lehrer*innenvortrag des Präsenzunterrichts ersetzen und somit mehr „echte Lernzeit“ ermöglichen. Das kann über Erklärvideos oder Podcasts geschehen, die von den Lehrenden selbst (auch mit Kolleginnen und Kollegen) erstellt oder recherchiert werden. Das können aber auch Recherche-, Lese- und Arbeitsaufträge für Textauszüge sein, die von den Lehrenden entweder selbst verfasst oder kommentiert werden. Wichtig ist dabei jeweils die Didaktisierung der zur Verfügung gestellten Materialien z.B. über Leitfragen und konkrete Aufträge, um einem schlichten Konsum des Gesehenen, Gehörten und Gelesenen ohne tiefere Verarbeitung vorzubeugen.

Der entscheidende Vorteil ist, dass Schülerinnen und Schüler bei der Erarbeitung zuhause in ihrem individuellen Tempo vorgehen können. Beispielsweise können sich langsamere Lernende die Videos in einer verlangsamten Sprechgeschwindigkeit ansehen und Lektionen beliebig oft wiederholen. Sie können ohne Zeitvorgabe Sachverhalte, Begriffe und Fallbeispiele recherchieren. Nicht zuletzt können Sie in Form von Projektarbeiten mit Ihren Mitschüler:innen freier zusammenarbeiten. Kommt die Klasse dann in der Schule wieder zusammen, bleibt viel Zeit für die Beantwortung von Fragen, die Vertiefung des Stoffs sowie die Anwendung des Gelernten. Der neuesten Studie von Sointu et al. (2022) zufolge hängen die Zufriedenheit und der Erfolg der Lernenden in einem flipped classroom-Setting von der systematischen Anleitung zu dieser Methode ab. Es werden also klare und verständliche Lehr-Lern-Materialien sowie eine präzise Gebrauchsanweisung benötigt und es ist wichtig, den Lernenden die Lernpraktiken und Ziele des Flipped Classroom ausführlich zu erklären. Der „Klarheit der Lehrperson“ (Hattie 2015) kommt also auch in diesem Setting eine eminent wichtige Rolle zu.


10 TIPPS FÜR DIE UNTERRICHTSPRAXIS:

  1. Führen Sie die Methode ausführlich ein.
  2. Überprüfen Sie die Operationalisierung und die Klarheit Ihrer Arbeitsaufträge für die asynchrone, selbständige Arbeitsphase der SuS.
  3. Arbeiten Sie mit Fallbeispielen: Schauen Sie sich das erste Video oder hören Sie sich den ersten Podcast gemeinsam mit der Klasse an und erläutern Sie, mit welchen Strategien man sich Wissen mithilfe eines Videos oder eines Podcasts aneignet. Für die Arbeit mit Texten empfiehlt sich eine Überprüfung der bereits verfügbaren Lesestrategien.
  4. Suchen Sie geeignete Videos oder Podcasts im Netz oder erstellen Sie eigene. Bestehende Videos aus dem Netz können mit Edpuzzle angepasst werden.
  5. Edu-Accounts: Zum Erstellen eigener Videos bieten einige Tools kostenlose Zugänge für Lehrkräfte an, die meist etwas versteckt zu finden sind z.B.: Simpleshow Ein frei zugängliches Instrument zur Erstellung von Podcasts ist z.B.
  6. Beginnen Sie die Präsenzphase nicht mit einer Wiederholung der Video- oder Podcast- oder Textinhalte. Dies könnte dazu führen, dass SuS bei der Vorbereitung zu Hause beim nächsten Mal weniger sorgfältig vorgehen.
  7. Bewährt hat sich für das Blended Learning ein striktes Vorgehen nach der Think – Pair – Share-Strategie. Die Think-Phase entspricht der selbständigen Erarbeitungsphase über digitale Tools. Die Pair-Phase (und gegebenenfalls die Share-Phase) folgen dann im Präsenzunterricht. SuS sollten das Gelernte und selbst erarbeitete in der Präsenzphase zunächst untereinander reflektieren.
  8. Wenden Sie die Methode nicht nur sporadisch, sondern kontinuierlich über einen Zeitraum von mehreren Wochen an.
  9. Arbeiten Sie – wenn möglich – auf Fachebene oder im fächerübergreifenden Unterricht im Team mit Koleg:innen, um Lernmaterialien zu sammeln und zu erstellen und die Arbeitsaufträge zu reflektieren.
  10. Im besten Fall entsteht durch die gewonnene Zeit in den Präsenzphasen etwas ganz Neues wie z.B. ein Projekt.
Bibliographie

Hattie, John (2015): Lernen sichtbar machen, 3., erweiterte Auflage. Baltmannsweiler.

Kerres, Michael (2018): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote. 5. Auflage. Berlin/Boston.

Krommer, Axel (2019): Paradigmen und palliative Didaktik. Oder: Wie Medien Wissen und Lernen prägen. https://axelkrommer.com/2019/04/12/paradigmen-und-palliative-didaktik-oder-wie-medien-wissen-und-lernen-praegen/

Krommer, Axel (2017): Notwendige Neologismen: „Palliative Didaktik“. https://axelkrommer.com/2017/10/01/notwendige-neologismen-palliative-didaktik/

Ma, Lon & Lee, Chei Sian (2021): Evaluating the effectiveness of blended learning using the ARCS model, in: Journal of Computer Assisted Learning 37, 1397-1408.

Means, Barbara / Toyama, Yukie / Murphy, Robert / Baki, Marianne (2013): The Effectiveness of Online and Blended Learning: A Meta-Analysis of the Empirical Literature, in: Teachers College Record Volume 115, 1-47.

Sointu, Erkko / Hyypiä, Mareena / Lambert C., Mathhew / Hirsto, Laura / Sarrelainen, Markku / Valtonen Teemu (2022): Preliminary evidence of key factors in successful flipping: predicting positive student experiences in flipped classrooms. In: Higher Education (2022). https://doi-org.proxy.bnl.lu/10.1007/s10734-022-00848-2

Wagner, Marlene / Gegenfurther, Andreas / Urhahne, Detlef (2020): Effectiveness of the Flipped Classroom on Student Achievement in Secondary Education: A Meta-Analysis. In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie. Heft 35, Nr. 1. S. 11–31. doi: 10.1024/1010-0652/a000274