In einer von Medien geprägten Welt erweist es sich als selbstverständlich, dass Medienbildung bereits im frühen Kindesalter erforderlich ist. Sie soll bei Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsbewussten und sicheren Umgang mit Medien fördern und gleichzeitig auf mögliche Gefahren bei deren Nutzung hinweisen. Paula Bleckmann spricht in diesem Zusammenhang von Medienmündigkeit: medienkompetente Menschen sollen die Medien beherrschen und nicht von ihnen beherrscht werden.
Doch welche Kompetenzen setzt Medienmündigkeit voraus? Dazu wurden bislang mehrere Medienkompetenz-Modelle aufgestellt. Der Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke hat bereits im Jahr 1973 sein Modell veröffentlicht. Dieses ist eng mit der den Menschen angeborenen kommunikativen Kompetenz verbunden, erfordert jedoch aus heutiger Sicht einige zusätzliche Kompetenzen. Baacke definiert Medienkompetenz anhand von vier Dimensionen: der Medien-Kritik, der Medien-Kunde, der Medien-Nutzung und der Medien-Gestaltung.
Die Medien-Kritik entspricht einer reflektierenden Auseinandersetzung mit Informationen. Diese Auseinandersetzung erfolgt auf drei Ebenen:
Das Wissen über Medien und Mediensysteme bildet die Dimension der Medien-Kunde. Die informative Medien-Kunde bezieht sich dabei auf klassisches Wissen über Medien und Mediensysteme. Die instrumentell-qualifikatorische Medien-Kunde steht für die Nutzungskompetenz, also die Fähigkeit, Mediensysteme richtig anwenden zu können.
Sowohl bei der Medien-Kritik als auch bei der Medien-Kunde spielt die Vermittlung der Medienkompetenz eine zentrale Rolle. Die beiden Dimensionen der Medien-Nutzung und der Medien-Gestaltung sind vorrangig zielorientiert; sie fokussieren sich auf das Handeln der Menschen.
Medien-Nutzung findet gemäß Baacke auf zwei Ebenen statt. Die rezeptive Ebene ist die der Anwendung. Sie ist vergleichbar mit der Fähigkeit, Programme nutzen zu können. Die interaktive Ebene entspricht dem Anbieten von Medien, also der Nutzung von interaktiven Medien. Diese kreative Seite der Mediennutzung spielt gemäß Baacke eine immer größere Rolle.
Die Medien-Gestaltung beschäftigt sich mit der ständigen Weiterentwicklung der Medien, sowohl auf der technischen als auch auf der inhaltlichen Ebene. Die kreative Medien-Gestaltung legt besonderen Wert auf die ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten, die teilweise über das jeweilige Mediensystem hinausgehen können.
Wie Baacke bereits im Jahre 1973 voraussagte, spielen interaktive Medien in unserer Zeit eine sehr große Rolle. Begünstigt durch die sozialen Netzwerke findet ein Wechsel vom Informationskonsumenten zum Informationsproduzenten statt. Nach einer Studie des „Pew Internet & American Life Project“ haben über die Hälfte der teilnehmenden Jugendlichen bereits Medieninhalte produziert und ein Drittel von ihnen diese Inhalte im Internet publiziert (vgl. Simon & Graziano, 2001). Jenkins et al. sprechen in diesem Zusammenhang von einer Participatory Culture (vgl. Jenkins et al., 2006), einer partizipativen Kultur. Dieses partizipative Modell breitet sich in vielen Bereichen aus, auch in der Pädagogik. Lernen findet nicht in einem Vakuum statt, sondern in einem sozialen Kontext. Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene müssen sich ihrer Rolle als Produzentinnen und Produzenten omnipräsenter digitaler Medieninhalte bewusst werden und Verantwortung als solche übernehmen. Dazu müssen die Dimensionen der Medien-Nutzung und der Medien-Gestaltung um eine zusätzliche Ebene erweitert werden: die partizipativ-kollaborative Ebene.
Produktion und Veränderung medialer Inhalte sind in Zeiten der Algorithmen und der Künstlichen Intelligenz nicht mehr allein das Werk von Menschen. Computer übernehmen vermehrt diese Aufgabe, oft ohne direktes Eingreifen des Menschen. Lev Manovich schreibt in seinem Buch „Language of New Media“, dass digitale Medien als solche nicht existieren, da sie nur ein Artefakt einer Software sind, die festlegt, was angezeigt wird und inwiefern etwas editiert werden kann. Durch die eigenständige Herstellung und Interpretation von Medieninhalten reicht die Technik über die Funktion des Mediums hinaus in den digitalen Alltag des Menschen.
Daraus ergibt sich ein erweitertes Ziel der Medienkompetenz. Es reicht nicht mehr, sich nur mit dem ästhetischen Aspekt der Medien (der Benutzeroberfläche) und der phänomenologischen Seite der digitalen Medien (den Funktionen) zu befassen. In der heutigen Zeit können nicht nur Medieninhalte an sich, sondern auch die ihnen zugrundeliegende Technik von den Nutzerinnen und Nutzern gestaltet und manipuliert werden. Die Erweiterung der Medien-Kunde um eine technisch-organisatorische Ebene erlaubt den Schülerinnen und Schülern einen selbstbestimmten Umgang mit digitalen Systemen zu erlernen.
Die technisch-organisatorische Ebene erfordert ebenfalls eine erweiterte Medien-Kritik. Letztere muss „im Sinne einer Kritik an Technologie, technischen und informatischen Prozessen, Algorithmen und deren Produkten wie Daten und medialen Artefakten“ (Knaus, 2018, S. 90–91) ausgerichtet werden. Die technisch-informatische Ebene ergänzt die Medien-Kritik um diese Aspekte. Medien-Kritik muss auch automatisch ablaufende Prozesse miteinschließen, nicht nur die Daten oder Resultate.
Das folgende erweiterte Medienkompetenz-Modell beinhaltet die in diesem Text erwähnten Anpassungen an die Bedürfnisse der digitalen Gesellschaft.
Baacke, D. (1997). Medienpädagogik. Niemeyer.
Jenkins, H., Clinton, K., Purushotma, R., Robison, A. J. & Weigel, M. (2006). Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century. The MacArthur Foundation, 72. Abgerufen am 15. Oktober 2021, von https://www.macfound.org/media/article_pdfs/JENKINS_WHITE_PAPER.PDF
Educational Research Review, 22, 142-158. https://doi.org/10.1016/j.edurev.2017.09.003
Knaus, T. (2018). Technikkritik und Selbstverantwortung. Plädoyer für ein erweitertes Medienkritikverständnis. kopaed 2, Medienkritik im digitalen Zeitalter.
Manovich, L. (2002). The Language of New Media (Reprint Edition). The MIT Press.
Reuter, C. (2020). Computational Thinking in der Grundschule, Masterarbeit (MA). Donau Universität Krems. Abgerufen am 05.10.2021 von http://tssp.creuter.lu/computationalthinking/
Simon, M., & Graziano, M. (2001). The Internet and Education: Findings of the Pew Internet & American Life Project. 12. http://www.pewinternet.org/reports/toc.asp?Report=39